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Bewegung ist gut – auch im Alter?
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Bewegung
Bewegung ist gut – auch im Alter?

Mit zunehmendem Alter wird der Mensch in der Regel gemütlicher. Wir nehmen an Gewicht zu und bewegen uns immer weniger. Das muss nicht so sein.

Dr . med. Karl-Heinz Müller
Facharzt für Innere Medizin: Geriatrie; Facharzt für Physikalische Medizin und Rehabilitation: Chirotherapie, Naturheilverfahren

Vor einigen Wochen besuchte ich ein älteres Ehepaar (85/89 Jahre). Den Ehemann hatte ich auch schon früher ab und an getroffen, aber die Frau war mir bis dato unbekannt. Obwohl sie noch gut auf den Beinen war, fiel mir beim Essen am Tisch auf, dass sie erhebliche Mühe hatte, ihre Oberarme anzuheben, um das Essen zum Mund zu führen. Mir wurde sofort klar, dass diese Frau an einer fortgeschrittenen Arthrose in beiden Schultergelenken litt. Sie bestätigte mir, dass sie nicht mehr in der Lage sei, sich selbst zu kämmen. Alles, was in einer Höhe über den Schultern ist, kann sie nicht mehr erreichen. Bei weiterer Beobachtung bemerkte ich rasch, dass sie auch ihre Unterarme nicht so einsetzte, wie es normalerweise möglich sein sollte. Aufgrund der Behinderung in den Schultern schonte sie nun auch ihre Unterarme, obwohl diese frei beweglich waren. Ein erster Schritt wäre also, dieser Frau zu vermitteln, dass sie ihre Unterarme ganz normal benutzen und zusätzliche Übungen durchführen sollte. Dies würde erstmal dazu führen, dass sie zumindest noch selbstständig essen könnte.

Regelmäßige Bewegung, auch im Alter
Gesund zu altern – dazu trägt regelmäßige Bewegung bei. Senioren, die diesen Rat befolgen, bleiben länger fit und beweglich. Dies bringt eine ganze Reihe Vorteile mit sich:

  • Alltägliche Aufgaben fallen leichter und können routiniert durchgeführt werden.
  • Wenn man früh genug mit regelmäßiger Bewegung beginnt, ist längere Selbstständigkeit eine Folge. So lange wie möglich selbstständig zu sein und selbstbestimmt zu leben, ist den meisten Senioren sehr wichtig.
  • Zusätzlich führt die Bewegung zu einer Verlängerung der allgemeinen Lebenserwartung, weil das Risiko für Krankheiten durch einen trainierten, fitten Körper herabgesenkt wird und durch einen gesunden Körper auch Verletzungen durch Stürze vorgebeugt werden können.
  • Regelmäßige Bewegung sorgt auch für die Ausschüttung von Glückshormonen, die das allgemeine Wohlbefinden verbessern.
  • Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit werden trainiert und wenn die Bewegung in einer Gruppe ausgeübt wird, fördert dies zusätzlich soziale Kompetenzen. Gerade im höheren Lebensalter geben soziale Netzwerke Halt und Abwechslung im Leben, eben nicht nur durch die eigene Familie. Dies trägt in erheblichem Maße auch zu einer besseren seelischen Gesundheit bei.
  • Eine bessere körperliche Verfassung im Alter beeinflusst auch den Schlaf. Durch die regelmäßige Bewegung werden Stresshormone schneller abgebaut, sodass auch innere Anspannungen gelöst werden, die den Schlaf stören.

Störungen des Gangmusters
Bei Gesunden laufen Gehbewegungen reibungslos ab. Wenn es aber im Alter aufgrund verschiedener Erkrankungen zu einer Gangstörung kommt, ist der automatische Ablauf des Gangmusters und der Ganggeschwindigkeit gestört. Betroffene schlurfen über den Boden, hinken, ziehen vielleicht ein Bein nach und heben beim Gehen ihre Füße nicht mehr ausreichend. Dabei können die verschiedensten Krankheiten den Bewegungsablauf stören. Dazu gehören beispielsweise Multiple Sklerose, Schlaganfall, degenerative Hirnkrankheiten (z. B. Parkinson) oder auch Verschleißerscheinungen an den Gelenken. Depressionen und vor allem die Angst, zu stürzen (etwa nach einem Sturz mit Knochenbruch), können zu einer Bewegungsvermeidung führen, was in einen Circulus vitiosus – einen Teufelskreis – führt.

Mangelnde Bewegung schwächt die Muskelkraft und das Gleichgewicht, wodurch das Risiko, erneut zu stürzen, weiter ansteigt. Noch mehr Angst, Niedergeschlagenheit und Einsamkeit im Alter sind die Folge. Der Altersmediziner spricht dann von einer multifaktoriellen Sturzkrankheit. Verschiedene Faktoren führen in eine solche Abwärtsspirale, indem sich mehrere Faktoren gegenseitig verstärken und so einen Zustand immer weiter verschlechtern. Dazu gehören folgende Faktoren: Muskeldefizite, Gangstörung, Gleichgewichtsstörung wie Schwindel, Seh- und Höreinschränkungen, Verschleißerscheinungen in den Gelenken, Gicht, Medikamenteneinfluss sowie unsicherer Gebrauch von Gehhilfen.

Regelmäßig, jederzeit ...
Gerade in solchen Situationen kommt erneut die regelmäßige Bewegung ins Spiel. Im Unterschied zu einem gesunden Menschen muss für behinderte ältere Menschen eine individuell zugeschnittene Bewegungsstrategie durch Ergo- und Physiotherapie entwickelt werden. Und natürlich wäre es besser, mit der regelmäßigen Bewegung nicht erst zu beginnen, wenn Probleme aufkommen. In ihrer globalen Strategie für Ernährung, Bewegung und Gesundheit empfiehlt die WHO: «Jeder Mensch soll sich lebenslang entsprechend seiner individuellen Leistungsfähigkeit bewegen.» Und das ist eigentlich gar nicht so schwierig, denn schon 30 Minuten Bewegungsprogramm pro Tag verbessern Mobilität und Selbstständigkeit. Studien belegen, dass ältere Menschen, die an regelmäßigen gezielten Sportprogrammen teilnehmen, weniger massive Bewegungseinschränkungen zulasten der persönlichen Unabhängigkeit erleiden. An einer Studie der Universität von Florida nahmen 1635 leicht gebrechliche Männer und Frauen im Alter zwischen 70 und 89 Jahren teil. Diese waren es gewohnt, den Tag überwiegend im Sitzen zu verbringen. Die Kernfrage dieser Studie war: Können 20 Minuten Bewegung täglich zur Verbesserung der Selbstständigkeit der Versuchsteilnehmer beitragen? Anfangs wurde geprüft, ob diese in der Lage waren, 400 Meter ohne Unterstützung in moderatem Tempo zu gehen. Die 400 Meter wurden bewusst gewählt, da diese einem alltagstypischen Weg entsprechen, wie zum Beispiel vom Parkplatz bis in den Supermarkt oder 2–3 Blöcke durch die Nachbarschaft zu gehen. Das Ergebnis war sehr positiv. Die Teilnehmer der Kontrollgruppe, die nur Informationen zur Umstellung ihres Alltags erhielten, diese aber nicht durchführten, erfuhren keine Veränderung ihrer Selbstständigkeit. Wobei alle anderen, die aktiv wurden, sowohl eine körperliche als auch mentale Verbesserung ihrer Gesundheit erfuhren.

Wer noch gehen kann, der gehe!
Und seien es auch nur wenige Schritte: Bewegung ist ein Wunderding! Sich zu Routinen wie dem Gang zum Einkaufen oder zum Treffen mit Bekannten aufzuraffen, sind tägliche Investitionen in die Erhaltung der Selbstständigkeit. Dabei profitieren ältere Menschen mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit sogar von passiver Bewegung – wie beispielsweise einem Durchbewegen der großen und kleinen Gelenke, mehrmals täglich im Pflegebett. Dabei ist folgende Regel zu beachten: rumpfnah halten, körperfern bewegen. Das heißt: Eine Pflegekraft oder ein Angehöriger hält zum Beispiel den Unterarm der Person und bewegt deren gestreckte Hand. Massagen und physikalische Therapie tragen zusätzlich zur Schmerzlinderung und Aktivierung von Körperfunktionen bei.

Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten beeinflussen die Bewegung positiv?
Um den Alltag selbst zu meistern, bedarf es vier Kernkompetenzen:

1. Kraft
2. Beweglichkeit
3. Koordination und
4. Ausdauer

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat gemeinsam mit der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) und weiteren Akteuren ein Alltags-Trainings-Programm (ATP) für Menschen ab 60 Jahren entwickelt. Dabei geht man davon aus, dass der Alltag – drinnen wie draußen – voller Trainingsmöglichkeiten steckt. Umständliche Vorbereitung, Sportdress und komplizierte Fitnessgeräte braucht es daher nicht. Denn auch mit Alltagsgegenständen kann man seine Muskeln kräftigen. Zunächst werden Gehvarianten für ein besseres Gleichgewicht gemeinsam trainiert und in den persönlichen Alltag übertragen. Eine ideale Gelegenheit, um Kräftigungs-, Mobilisations- und Dehnübungen zu machen.

Mit der richtigen Betreuung und Versorgung ist auch eingeschränkte Bewegungsfähigkeit kein Grund, in ein Pflegeheim zu ziehen. Im Gegenteil: raus aus der Schonhaltung, auch bei Gehbehinderung – und dies regelmäßig. Warum sollte man Senioren immer im Rollstuhl zur Toilette fahren, wenn es ihnen gelingen könnte, mit der Unterstützung einer Hilfsperson in das Badezimmer zu gehen? Ein wohltuendes Fußbad bietet Gelegenheit, Fußgelenke beziehungsweise Handgelenke, Beine und Arme selbst zu bewegen. Die Hilfskraft (in den meisten Fällen eine Pflegekraft) könnte auch physikalische Maßnahmen zur Durchblutungsförderung, zur Entspannung der Muskulatur und zur Schmerzlinderung durchführen.

Zahlreiche Aktivitäten, Gehirnjogging, Alltagsübungen und Training für den Körper beschäftigen ältere Menschen und lassen sie aufblühen. Der geistige und körperliche Gesundheitszustand für ältere Menschen lässt sich damit positiv beeinflussen, und viele dieser Aktivitäten können sowohl allein als auch gemeinsam mit Angehörigen ausgeführt werden.

Regelmäßige Beschäftigung/Bewegung ist wichtig für alle Menschen, insbesondere aber für den älteren Menschen. Damit bleibt man geistig und körperlich fit. Manche Spiele und Übungen können sehr wohl auch im Alter allein und selbstständig durchgeführt werden, andere sind nur in Gruppen oder mit Angehörigen möglich. Lassen Sie sich ein individuelles Bewegungs-/Aktivitäts-Programm zusammenstellen, welches fordert, aber nicht überfordert.

 

 

 

 

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